Wie Klänge den Geschmackssinn beeinflussen
Stellen Sie sich mal ein Kochrezept vor, dass nicht nur eine Zutatenliste und eine Anleitung zur Zubereitung enthält, sondern auch eine Auswahl von Musikstücken, die beim Verzehr des Gerichts gespielt werden sollen.
Laut Charles Spence, Professor für experimentelle Psychologie an der Universität Oxford, haben Akustik, Geräuschkulisse und Musik erheblichen Einfluss darauf, wie wir Speisen und Getränke mit unseren Sinnen erfahren.
Was sagt die aktuelle Forschung über die Beeinflussung des Geschmackssinns durch Lärm und Akustik?
Versuche im Labor und in Restaurants haben eindeutig gezeigt, dass Faktoren wie Akustik, Hintergrundmusik und Lärmpegel einen Einfluss darauf haben, wie wir Speisen und Getränke beim Verzehr wahrnehmen. Diese Tatsache lässt sich nicht ignorieren. Die neueste Forschung zeigt, dass ein hoher Lärmpegel unsere Fähigkeit, Süßes und Salziges zu schmecken, herabsetzt. Andere Studien wiederum haben gezeigt, das die Geräuschkulisse in einer Flugzeugkabine den Geschmack von Umami verstärken kann.
Beim Schmecken geht es jedoch nicht nur um die Grundgeschmäcker süß, salzig, sauer, bitter und Umami. Wahrnehmungen wie fruchtig, blumig, würzig, fleischig – also besonders interessante Elemente des Geschmacks – werden über den Geruchssinn wahrgenommen, der ebenfalls durch den Umgebungslärm beeinflusst wird. So wissen wir beispielsweise, dass laute Geräusche unsere Fähigkeit, Frucht und Fruchtigkeit zu schmecken, beeinträchtigen.
Warum reagieren unsere Sinne so?
Das wissen wir nicht mit Sicherheit. Eine Möglichkeit ist die, dass Lärm unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht und unser Konzentrationsvermögen herabsetzt, wodurch es uns schwerer fällt, uns auf Geschmack und Geruch zu konzentrieren. Wenn dies jedoch der einzige Faktor wäre, würde Lärm alle Geschmäcker gleichermaßen beeinträchtigen. Ein weiterer Aspekt liegt darin, dass die Forschung in neuester Zeit direkte Verbindungen zwischen Ohren und Nase im Gehirn entdeckt hat. Wir wissen nicht, warum diese Verbindungen existieren; sie bilden aber möglicherweise eine Art „Standleitung“ zwischen dem Hör- und dem Geruchssinn.
Unsere Forschung hat gezeigt, dass bestimmte Klänge das Schmecken von Süßem befördern, während andere Klänge eher bittere Geschmacksnoten hervorholen. So werden Klänge zu einer Art Gewürz. Man kann Geräusche nicht dazu verwenden, Geschmacksempfindungen aus dem Nichts zu erzeugen, aber man kann sie sehr wohl nutzen, um bestimmte Eigenschaften eines Geschmackserlebnisses zu betonen. Ein klingender, heller Ton, zum Beispiel von einem Windspiel oder einem Klavier, hebt süße Geschmäcker hervor, während sich Bitteres durch tiefe Töne unterstreichen lässt, beispielsweise von Blechbläsern. Für Salziges ist es etwas schwerer, die ideale Musik zu finden.
Warum geht es in Restaurants allgemein immer lauter zu, und was bedeutet das für das Geschmackserlebnis?
Zunächst einmal erleben wir einen neuen Trend bei der Einrichtung. Das überaus schlichte skandinavische Design, das sich in Europa und weltweit immer mehr ausbreitet und mit dem Wunsch nach einem weniger formellen Rahmen für das gemeinsame Essen verbunden ist, hat dazu geführt, dass Tischdecken, Kissen, Gardinen und Teppiche aus den Restaurants verschwunden sind. Diese Einrichtungselemente hatten früher einen dämpfenden Effekt auf die Lärmentwicklung und verbesserten die Raumakustik. Heute finden sich in Restaurants weitaus mehr harte, glatte Oberflächen, die Geräusche reflektieren und den Lärmpegel erhöhen.
Eine zweite Tendenz breitet sich derzeit von New York her aus. Dort spielen einige Küchenchefs dieselbe laute Musik im Gastraum, die sie selbst gern in der Küche hören. Zusammen genommen bedeuten diese beiden Faktoren, dass der Lärmpegel im Restaurant schnell mal auf 100 Dezibel und mehr ansteigt. Andererseits klagen Restaurantgäste schon seit einem halben Jahrhundert über Lärm – neu ist die Problematik also nicht. Doch heute wird einfach mehr auf die Auswirkungen von Lärm auf den Menschen geachtet, sowohl im Hinblick auf den sozialen Aspekt des Ausgehens als auch auf die Beeinträchtigung unseres Geschmackssinns.
Wie wirkt sich totale Stille im Restaurant auf das Geschmackserlebnis aus?
Wenn es in einem Restaurant extrem ruhig ist, klagen die Besucher oft darüber, dass es an Atmosphäre fehlt. Heute gibt es immer weniger Restaurants, in denen man weiße Tücher und andächtige Stille antrifft.
Die weitaus meisten Gäste bevorzugen eine gewisse Atmosphäre, wenn sie ausgehen. Zu dieser Atmosphäre gehört typischerweise der Klang von Menschen, die sich unterhalten, und etwas Hintergrundmusik. Diese Mischung bietet einen Rahmen und eine Art soziales Polster, auf dem man sich gemütlich entspannen kann, anstatt daran zu denken, ob die Leute am Nachbartisch dein Gespräch mithören.
Wie findet man in einem Restaurant die optimale akustische Balance?
Wenn ich Hotels und Restaurants berate, fordere ich die Betreiber immer dazu auf, verschiedene Maßnahmen in ihren Räumlichkeiten auszuprobieren. Es kann schon sein, dass die Forschung vor 20 Jahren ergeben hat, dass bestimmte Musik die Gäste dazu bringt, in einem bestimmten Restaurant länger zu verweilen. Aber gilt das auch heute, in deinem Land, in deinem Restaurant?
Der wichtigste Faktor ist die Aufmerksamkeit. Wenn dein Restaurant voller Glas und Edelstahl ist und du nichts dafür tust, um die Akustik zu verbessern, werden deine Gäste in einer ziemlich lauten Umgebung essen. Doch wie kannst du es als leidenschaftlicher Koch zulassen, dass deine Speisen durch Lärm und zufällige Musik verhunzt werden? Wenn du auf dieses Paradox erst einmal aufmerksam geworden bist, hast du bereits den ersten Schritt getan, um dir gründliche Gedanken über die Akustik in deinen Räumen zu machen.
Über Charles Spence
- Professor (MA, PhD) in experimenteller Psychologie an der Universität Oxford
- Leiter des Crossmodal Research Laboratory, das sich auf der Erforschung der Informationsverarbeitung durch die verschiedenen menschlichen Sinne spezialisiert hat
- Fellow am Somerville College in Oxford
- Forschungsgebiete: Angewandte kognitive Psychologie, Konsumpsychologie, sensorisches Marketing, intersensuelle Wahrnehmung, Gastrophysik