Seitdem haben Gebäudezertifizierungen wie DGNB, LEED, WELL und BREEAM ihren Siegeszug angetreten – nicht zuletzt in den nordeuropäischen Ländern. Die notwendige Umstellung in der Baubranche wird jedoch nicht allein durch Gebäudezertifizierungen erreicht, erklärt Martha Lewis.
„Im zertifizierten Bau machen wir alles etwas besser, als beim klassischen Bau. Und das ist wertvoll. Aber wir machen nicht unbedingt einen Quantensprung im Hinblick auf die Art des Bauens, die ausgewählten Materialien oder unsere Herangehensweise an das Design. Es ist mehr nötig, um die Klima-, Chemie- und Ressourcenkrise zu adressieren, vor der wir stehen“, sagt sie.
Martha Lewis hat selbst Schwächen der aktuellen Zertifizierungsregelungen aufgedeckt, wenn es um Materialgesundheit geht, die mehr Aufmerksamkeit erhalten müsste.
In einer Untersuchung in den fünf nordischen Ländern aus dem Jahr 2019 hat sie untersucht, wie die Zertifizierungsregelungen problematische Stoffe im Vergleich zu den gefährlichen Stoffen screenen, die in den entsprechenden Ländern tatsächlich im Bau verwendet werden.
„Die Schlussfolgerung war, dass uns unsere Zertifizierungsregelungen in diesem Bereich generell im Stich lassen. Sie bieten kein effizientes Screening bei problematischen Stoffen und lassen gefährliche Stoffe durchgehen. Tatsächlich wurden die Prüfer des Screenings noch nicht einmal darum gebeten, Stoffe zu screenen, die in den entsprechenden Ländern sehr verbreitet sind“, sagt sie.
Beispielsweise screent DGNB nicht den krebserregenden Stoff Formaldehyd, obwohl 2017 mehr als 9.000 Tonnen dieses Stoffs in der Baubranche in Dänemark verwendet wurden. Oder ein Bisphenol-A-Polymer, dessen Verbrauch in der Baubranche über 3.000 Tonnen lag. Bisphenol-A ist allergieerzeugend und giftig für Wasserorganismen, mit langfristiger Wirkung.
„Diese Stoffe sollten nicht mehr verwendet werden“, sagt Martha Lewis und fährt fort, dass viele Zertifizierungsregelungen der Forschung hinterherhinken.
Sie kommen daher immer zu kurz, wenn allen schädlichen Stoffen beim Bau zu Leibe gerückt werden soll. Eine Ausnahme ist die schwedische Version von BREEAM:
„Die Regelung versucht nicht, alle Stoffe aufzulisten, die verboten sind. Stattdessen werden die Eigenschaften der Stoffe gescreent. Man stellt also Anforderungen an die Folgeeffekte, die man vermeiden möchte. Dazu zählt, ob die Stoffe krebserregend sind, die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen oder zu Missbildungen führen. Wenn einige Stoffe in den Baumaterialien diese Eigenschaften aufweisen, dürfen sie im Bau nicht vorhanden sein“, sagt sie. Den gleichen Ansatz verfolgt das Nordische Umweltzeichen, das dieselben Anforderungen stellt.