Architekt: Das neue Design soll sein Potential entfalten

Karlsson Arkitekter sind die Planer des Psychiatriekrankenhauses GAPS im dänischen Slagelse, das 2015 in Betrieb genommen wurde.

Inhaber und Architekt Christian Karlsson meint, dass die Designprinzipien der Transparenz und Hierarchie sich im komplexen Klinikalltag bereits bewährt haben. Es muss jedoch mit der Zeit eine Veränderung der Kultur erfolgen, damit die Möglichkeiten, die die Architektur bietet, auch ausgeschöpft werden können, sagt er.

Wenn mehrere psychiatrische Einrichtungen in einem großen Krankenhaus zusammengelegt werden, muss die Architektur zahlreiche Nutzungsarten berücksichtigen. Einige Patienten werden gerade mit schweren Erkrankungen aufgenommen, während andere bereits kurz vor der Entlassung stehen. Im Behandlungsverlauf reagieren einige stark extravertiert, während andere sich völlig verschließen. Und viele, die die Einrichtung betreten, haben natürlich eine kritische Haltung zu ihr.

Das alles gilt auch für das GAPS in Slagelse. In dem neuen Schwerpunktkrankenhaus mit 44.000 Quadratmetern Fläche wurden 2015 vier kleinere Fachkliniken der Region Seeland zusammengelegt.

„Komplexität war eine klare Voraussetzung. Sie ist bereits im Behandlungsansatz verankert, dem Recovery-Modell. Das bedeutet, dass die Patienten während ihres Aufenthalts einen Prozess von krank nach gesund durchlaufen. Während des Verlaufs reagieren die Patienten sehr unterschiedlich auf die Menschen und Situationen, denen sie begegnen, was sowohl in herkömmlichen Einrichtungen als auch im GAPS vorausgesetzt wird“, erklärt Christian Karlsson, Architekt und Inhaber von Karlsson Arkitekter.

Das Architekturbüro hat – gemeinsam mit Vilhelm Lauritzen Arkitekter – das GAPS geplant. Während in der klassischen Psychiatrie viele Türen verschlossen und nur wenige Menschen zu sehen sind, soll im GAPS genau das Gegenteil der Fall sein. Das Ziel bestand also darin, Transparenz zwischen den Räumen und zwischen den Innen- und Außenbereichen zu schaffen.

Ein anderes wichtiges Designprinzip für das GAPS ist das Vorhandensein von Hierarchien in der Gestaltung, der Dimensionierung und im Detaillierungsgrad, was den Patienten ermöglichen soll, unterschiedlich starke Stimuli aufzunehmen und zwischen privaten Rückzugsräumen und Gemeinschaften zu wechseln, je nachdem, wo im Recovery-Prozess sie sich gerade befinden.

Erfahrungen sammeln und auswerten

Die sozialen Folgen von Transparenz und Hierarchie im GAPS stehen im Mittelpunkt der Doktorarbeit, die Thorben Simonsen 2020 verteidigte. In einer Feldstudie beobachtete er über 200 Stunden lang den Alltag im Krankenhaus und kommt zu dem Schluss, dass die angewandten Designprinzipien eine Reihe von Herausforderungen mit sich bringen. Mehr über Simonsens Beobachtungen und Schlussfolgerungen lesen Sie hier.

Christian Karlsson betont, dass er Thorben Simonsens Dissertationsprojekt begrüßt. Denn Daten, die die Erfahrungen mit heilender Architektur belegen, sind wichtig – auch für Fachbereiche, die weder mit der Psychiatrie noch mit der Architektur direkt zu tun haben.

„Die Dissertation stellt meines Erachtens zu sehr die negativen Reaktionen im Alltag in den Mittelpunkt und berücksichtigt kaum all jene Dinge, die gut funktionieren, ohne bei Patienten und Personal ständig Reaktionen auszulösen. Thorben Simonsen hat eine Reihe von unerwünschten Zwischenfällen aufgezeichnet, aber ich glaube nicht, dass die unbedingt etwas mit dem offeneren Design und der Verbindung zwischen den Arbeitszimmern des Personals und den Wohnräumen der Patienten zu tun haben“, sagt Christian Karlsson.

„Einige der dargestellten Episoden lassen sich mit einer veränderten Arbeitskultur vermeiden – auch dadurch, dass die Mitarbeitenden die im GAPS vorhandenen Einrichtungen bewusster nutzen. Zur Aufgabe der Gestaltung des Krankenhauses gehörte auch und gerade die Förderung einer veränderten Kultur mit mehr sichtbarer Präsenz des Personals in den Bettenstationen“, erklärt Karlsson. „Doch es wird Zeit und wohl auch Engagement seitens des Managements erfordern, bis die Veränderungen in der Praxis umgesetzt werden.“

Klinikpersonal als sichtbare Akteure

Ein Beispiel, das sowohl von Thorben Simonsen als auch von Christian Karlsson angeführt wird, ist das Personalbüro „Taubenschlag“, das Glaswände hat und in einem Gemeinschaftsbereich liegt. Das führt dazu, dass Patienten und Personal einander sehen, aber nicht unbedingt hören können.

„Wie auch in der Dissertation dargelegt wird, sind akustische Signale ein wesentlicher Indikator für das menschliche Erleben einer Situation. Das war uns bewusst, aber wir unterliegen auch klaren rechtlichen Vorschriften, die die Übertragung von Schall zwischen Räumen regeln. Wenn das Personal also hinter einer Glaswand lacht oder ernste Gespräche führt, kann das bei den Patienten durchaus eine gewisse Unsicherheit hervorrufen. Das ändert aber nichts daran, dass wir weitaus mehr Vorteile als Nachteile feststellen, wenn es um Transparenz und Nähe zwischen Patienten und Personal in der konkreten Situation geht. Außerdem kann man sich überlegen, ob man die Tür anlehnt anstatt sie zu schließen, damit auch Geräusche nach außen dringen“, sagt Christian Karlsson.

„Insgesamt finde ich, dass die Idee funktioniert, da die Patienten den Bereich vor dem Taubenschlag ja bewusst aufsuchen. Die Patienten haben mehrfach gewünscht, die Einrichtung des Aufenthaltsbereichs dahingehend zu verändern, dass dort weitere Sofas aufgestellt werden, was zeigt, dass die Patienten sich dort gern aufhalten und auch essen. Das bedeutet natürlich, dass das Personal in vielen Arbeitssituationen gut sichtbar ist, was auch ein klares Ziel war, um mehr Vertrauen und Sicherheit zu schaffen“, so Karlsson.

Beobachtung beseitigt Konflikt

Christian Karlsson erklärt, dass der „Taubenschlag“ weder zum Dosieren von Medikamenten (dafür gibt es besondere diskrete Räume im Einklang mit dem dänischen Standard) noch für andere, besonders sensible Tätigkeiten oder Lagen bestimmt ist.

„Dieser Raum ist tatsächlich als Arbeitsplatz- und Konferenzraum zwischen den Bettenstationen vorgesehen. Das Personal kann also ,backstage‘ arbeiten, wenn es nötig ist, und ansonsten quer über mehrere Stationen. Bei den älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist die Auffassung tief verwurzelt, dass sie zu einer bestimmten Station gehören, die sie nicht verlassen können, weil sie sonst die Kollegen im Stich lassen würden. Das ist verständlich, aber eben auch einer der Bereiche, die eine Kulturveränderung erfordern“, so Karlsson.

Transparenz ist nicht nur ein Faktor im Innern der Gebäude, sondern auch in den Außenbereichen. Ein Beispiel ist der Atriumgarten, in dem die Patienten sich aufhalten können. Das Personal kann von seinem Arbeitsbereich aus sehen, was dort vor sich geht.

„Wir erleben es als sehr positiv, dass die Patienten sich im Freien bewegen können, ohne vom Personal begleitet werden zu müssen. Dass man nicht mehr um Erlaubnis bitten muss oder eine Begleitung braucht, wenn man nach draußen möchte, hat zu weniger Konflikten geführt“, berichtet Karlsson. „Und unser Hierarchieansatz besagt, dass die Patienten draußen Kontakt zueinander aufnehmen dürfen, zum Beispiel bei einer Tasse Kaffee oder einer Zigarette.“

Aufenthaltsdauer von Belang

Bei seinen eigenen Besuchen vor Ort erlebt Christian Karlsson aber auch, dass der Hierarchiegedanke Probleme hervorrufen kann. Dass die Patienten die Möglichkeit haben, sich außerhalb der Bettenstationen zu treffen, zum Beispiel in Aktivitäts- oder Fitnessräumen, wird nicht in vollem Umfang genutzt. Das gilt besonders für jene Bereiche des Krankenhauses, in denen die Aufenthaltsdauer relativ kurz ist.

„Zwischen Patienten mit kurzer oder langer Einweisungsdauer gibt es Unterschiede in der Gestaltung des Behandlungsverlaufs und dadurch auch in der Nutzung der Möglichkeiten, die das Haus bietet. Besonders bei längeren Aufenthalten, zum Beispiel in der Rechtspsychiatrie, wird die Behandlung danach zugeschnitten, was über den einzelnen Patienten bekannt ist und inwieweit die Einrichtungen im Umfeld der jeweiligen Bettenstation von Patienten und Personal genutzt werden können. Wir sind ganz klar der Auffassung, dass das Design und die neuen Nutzungsmöglichkeiten funktionieren, was man beispielsweise daran sieht, dass die Anwendung von Zwang im geschlossenen Teil des GAPS zurückgegangen ist“, sagt Christian Karlsson.

„Es ist wirklich eine schwierige Aufgabe, Lösungen zu entwickeln, die alle zufriedenstellen, wenn sich bei den Patienten die Voraussetzungen im Verlauf der Behandlung so gravierend verändern. Die Ideen für eine heilende Architektur, auch die der Transparenz und der räumlichen Hierarchien, bergen Vor- und Nachteile. So wäre das aber auch mit jeder anderen Einrichtung der Klinik. Ich finde, dass wir insgesamt eine gute Balance erzielt haben, und ich kann auch sehen, dass einige unserer Designansätze andernorts schon zum Standard geworden sind“, sagt Karlsson.

„Wenn ich das GAPS besuche, sehe ich Menschen, die im Austausch miteinander stehen. Das ist in den meisten anderen Psychiatriekrankenhäusern ganz anders. Dort hält sich das Personal in den Bereitschaftsräumen auf und die Patienten in ihren Zimmern. Der Wechsel von der alten Struktur zum neuen Design erfordert eine Kulturveränderung, und es werden noch mehrere Jahre vergehen, bis die Designprinzipien ihre Wirkung voll entfalten können.“

>> Lesen Sie auch das Interview mit Thorben Simonsen

FOTO: 
Inhaber und Architekt Christian Karlsson, Karlsson Architects.

Psychiatrische Klinik GAPS

Projekt: Psychiatrische Klinik GAPS in Slagelse, Dänemark
Architekten: Karlsson Architects, Vilhelm Lauritzen Architects
Bauherr: Region Seeland

Troldtekt Produkte: 

Deckenverkleidung: Troldtekt Plus Akustikplatten
Farbe: Natur Hell
Struktur: Fein (1,5 mm Holzwolle)
Kantenprofil: 5 mm Fase, K5
Montage: Mit Troldtekt-Schrauben

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THEMA: Heilende Architektur

Licht, Luft, Akustik und Raumeinteilung. Nicht zuletzt in den Neubauten psychiatrischer Einrichtungen kommen architektonische Kniffe zum Einsatz, die die Behandlung unterstützen sollen.

Ein neues Online-Thema der Troldtekt GmbH befasst sich mit den Visionen und der Praxis, den Möglichkeiten und den Fallstricken im Bereich der heilenden Architektur.

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