Schulbau Open Source verändert deutschen Schulbau
Die Montag Stiftung bündelt Erfahrungen und bewährte Verfahren im Schulbau, um die Kommunen zum Bau von Schulen zu inspirieren, die für den Unterricht der Zukunft gerüstet sind. Das Projekt mündet nun in das erste Pilotprojekt in Weimar.
Weimar ist als der Ort bekannt, an dem die erste demokratische Verfassung nach dem Ersten Weltkrieg unterzeichnet wurde, und die Stadt bildete auch den Rahmen für die einflussreiche Bauhaus-Schule, welche die Architektur viele Jahre lang beeinflusste. Über 100 Jahre später ist die Stadt im Land Thüringen wieder das Zentrum eines bahnbrechenden Neuanfangs.
Hier startet nämlich ein ganz besonderes Schulprojekt – ein Pilotprojekt, das die Art und Weise, wie Schulen in Deutschland gebaut werden, inspirieren und verändern soll (wobei auch Troldtekt eine Rolle spielt – mehr dazu unten).
Aber darauf kommen wir später zurück – zunächst gilt es zu erläutern, wie Schulbau und Schulsanierungen in Deutschland organisiert sind.
Ein Land, viele Ansätze für den Bau von Schulen
Wie werden Schulen in Deutschland gebaut? Diese scheinbar einfache Frage ist alles andere als einfach zu beantworten. Es gibt nämlich (je nach Sichtweise) entweder 16 oder 11.000 verschiedene Ansätze. 16, weil die Bildungspolitik Sache der 16 Bundesländer ist, oder 11.000, weil der Schulbau ein kommunaler Auftrag ist – und in Deutschland gibt es rund 11.000 Kommunen.
Schulbau und Schulgebäude sind Sache der Kommunen und der kommunalen Selbstverwaltung, sodass es sich in einem Land der Größe Deutschlands um ein sehr komplexes System handelt. Einige Bundesländer üben nach wie vor finanzielle Kontrolle über Schulgebäude aus und gewähren eine Art Zuschuss für den Bau von Schulen. In anderen Bundesländern, wie zum Beispiel Nordrhein-Westfalen, gibt es jedoch keine landesweite Verwaltung des Schulbaus.
Zwar koordinieren die Landeskulturminister die Bildungspolitik in einer nationalen Kultusministerkonferenz, ansonsten gibt es keine nationale Koordination des Schulbereichs.
Schulbau Open Source
Deshalb arbeitet die unabhängige gemeinnützige Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft seit 15 Jahren daran, Erfahrungen aus dem Schulbau deutschlandweit zu erheben und die typischen Planungsthemen des Schulbaus zu kartieren. Das gesammelte Wissen wird allen Akteuren über die Initiative Schulbau Open Source zur Verfügung gestellt.
Angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung allein in den letzten 20 Jahren besteht heute mehr denn je die Notwendigkeit, den exemplarischen Schulbau in Form zu bringen. Im Schulsektor hat sich die Sichtweise auf Bildung und die gesamte Diskussion darüber, was Kinder und Jugendliche in Zukunft lernen sollen, grundlegend verändert. Aber die Art und Weise, wie viele Schulen eingerichtet sind, wurde vor 100 Jahren mit Fluren und Klassenzimmern in einer Reihe entwickelt. Die Arbeit der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft zielt darauf ab, dass Schulbau und -sanierung das Lernen und die Pädagogik von heute unterstützen.
Das bedeutet unter anderem neue Ansätze, bei denen die Planung von Schulen stärker von einer Zusammenarbeit zwischen Architekten, Pädagogen und Lehrkräften abhängt. Die Akteure suchen nach Antworten auf Fragen wie unter anderem „Was geht in diesem Raum vor?“, „Wieviel Platz benötigen wir zwischen den Tischen?“, „Wo soll das Licht herkommen?“ und „Wo sollen die Türen sein?“, damit das Ganze die Ziele des Unterrichts bestmöglich unterstützt.
Da die bestehenden Regeln für den Schulbau diesem Ansatz jedoch nicht immer förderlich sind, geht es bei Schulbau Open Source auch darum, alternative Ansätze für die Schulplanung aufzuzeigen.
Zentrale Anlaufstelle für bewährte Verfahren
Die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft kann natürlich nicht bestimmen, wie die deutschen Kommunen oder Bundesländer ihre Schulbau- und -Schulsanierungsprojekte planen und durchführen. Die Stiftung kann nur Erkenntnisse bündeln, inspirieren und einen Katalog mit bewährten Verfahren und Erfahrungen aus anderen erfolgreichen Schulbauprojekten zur Verfügung stellen.
Eine der frühen Erkenntnisse des Projekts war, dass eine grundlegende Änderung der Art und Weise, wie Schulen gebaut werden, bereits vor der Planungsphase erfolgen muss. Deshalb konzentriert sich Schulbau Open Source auf die Beschreibung der sogenannten „Phase 0“ - also der frühesten Phase des Schulprojekts, in der alle relevanten Interessengruppen des Projekts einbezogen werden können.
Gleichzeitig musste dieser neue Ansatz berücksichtigen, dass in vielen Kommunen Verwaltungsmitarbeiter für den Schulbau verantwortlich sind. In der Praxis bedeutet dies, dass der Bauherr oft keine besonderen Kenntnisse über pädagogische oder lernbezogene Perspektiven hat. Deshalb deuten die Erfahrungen von Schulbau Open Source auf die Notwendigkeit hin, die Nutzer frühzeitig in den Prozess eines Schulbaus einzubeziehen.
Mit Input von Architekten, Pädagogen, Lehrkräften und Psychologen wurden die besten Erfahrungen auf der Website www.schulbauopensource.de zusammengestellt, auf der Kommunen und Architekten u. a. Inspirationen zu vielen verschiedenen Themen finden können: Gebäudeakustik, Lüftung und Brandschutz für Außenbereiche und Schulküchen.
Pilotprojekt in Weimar
Neben dem digitalen Austausch von Erfahrungen mit beispielhaftem Schulbau werden die Prinzipien nun auch in der Realität getestet. Als in Hartwege in Weimar eine neue Schule gebaut werden sollte, welche die alte Schule im Plattenbau-Stil ersetzen sollte, entstand die perfekte Gelegenheit, die Prinzipien in einem Pilotprojekt zu testen.
Hier begann der Bauprozess mit der „Phase 0“, in der Schulleitung, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Eltern, Schulverwaltung, Gebäudeverwaltung und Stadtplaner Konzepte für den zukünftigen Schulbau diskutierten und entwickelten. Es wurden Workshops und Exkursionen durchgeführt, um ein Verständnis für pädagogische und architektonische Konzepte und Möglichkeiten zu vermitteln.
Die Arbeit mündete in dem endgültigen Projektvorschlag, und im September 2021 begannen die Bauarbeiten. Das Gebäude soll im Herbst 2024 fertiggestellt werden. Das Projekt hat ein Budget von ca. 29,8 Mio. EUR und wird aus verschiedenen Quellen finanziert, darunter auch aus staatlichen Mitteln.
Lerndecken und Werkstattdesign
Das neue Schulgebäude zeichnet sich durch innovative sogenannte „Lerndecken“ aus. Offene Etagen, die nach den Bedürfnissen der Schule und des Unterrichts programmiert werden können und flexible Lern- und Unterrichtsräume für Schüler und Personal bieten.
Die Schule wurde nach der Philosophie geplant, dass der wichtigste Raum der Raum ist, in dem die Schüler lernen und in dem sie und ihre Lehrkräfte die meiste Zeit verbringen. Aus diesem Grund wurden die Treppen zu den Etagen außerhalb des Gebäudes platziert. Dies spart zum einen Kosten, zum anderen werden die Klima- und Umweltauswirkungen verringert, da die Schule die Heizkosten senken kann, indem sie die Treppen im Freien errichtet.
Gleichzeitig wurde auch an anderen Fronten Platz gespart. Zum Beispiel, indem die traditionell großen Schulküchen in mehrere kleinere Küchen umgewandelt werden, die sich in der Nähe der täglichen Lernräume der Schüler:innen befinden. Der gesamte Bau basiert auf der Jenaplan-Pädagogik, die sich auf die Förderung der individuellen Entwicklung und des sozialen Lernens in einer Gemeinschaft konzentriert. Jenaplan-Schulen zeichnen sich durch die Mischung von Altersgruppen (in der sogenannten Stammgruppe) aus, in denen Schüler unterschiedlichen Alters zusammenlernen und arbeiten, sich gegenseitig unterstützen und Verantwortung teilen. Der Unterricht ist auf Kernaktivitäten wie Gespräche, Spiele, Arbeit und Feiern strukturiert, wobei der Schwerpunkt auf praktischen Aktivitäten, Erfahrungen und Zusammenarbeit liegt, anstatt auf traditionellem Tafelunterricht.
FAKTEN: Über Schulbau Open Source
- Schulbau Open Source (SOS) ist eine Initiative der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft.
- SOS sammelt und organisiert Planungs- und Prozesswissen aus realen Schulbauprojekten, was es Kommunen, Planern, Architekten und anderen Interessengruppen ermöglicht, sich inspirieren zu lassen und dieses Wissen zur Verbesserung der Schulbaupraxis zu nutzen.
- Ziel von SOS ist es, dafür zu sorgen, dass Bauvorschriften, Sicherheitsstandards und technische Empfehlungen mit den Bedürfnissen der modernen Pädagogik zusammenspielen, damit die Entwicklung deutscher Schulen eine moderne, hochwertige Bildung unterstützt.
- Auf der Website von SOS finden Sie detaillierte Pläne, isometrische Zeichnungen, Dokumentationen relevanter Entscheidungen und Planungsmaterialien aus allen Fachplanungs- und Leistungsphasen der Pilotprojekte.
- SOS plant neben dem Pilotprojekt in Weimar weitere Projekte, wie zum Beispiel in Kassel und Frankfurt-Sachsenhausen. Auch hier liegt der Fokus auf der Schaffung offener Lernlandschaften, oft in historisch bedeutenden Gebäuden.