Angenehmere Büroumgebungen mit Neuroarchitektur

Wie beeinflussen Gebäude die Menschen, die sie nutzen? Eine Reihe von Architekten hat begonnen zu untersuchen, wie wir die Gehirnforschung nutzen können, um unter anderem bessere Schulen und Büroumgebungen zu entwerfen. Wir haben mit dem Architekten Klaudio Muca von CEBRA Architecture über die Perspektiven gesprochen.

06.05.2024
Klaudio Muca von CEBRA Architecture

„Bei meiner Ausbildung am Politecnico di Milano haben wir nie darüber gesprochen, wie unser Gehirn auf das Gebäude reagiert, in dem wir uns aufhalten. Den Dozenten ging es in erster Linie um die Komposition des Raums und auf das Finden und Schaffen von Ästhetik. Seitdem bin ich jedoch auf Forschungsarbeiten aufmerksam geworden, die unter anderem belegen, dass uns Räume mit hohen Decken kreativer machen und unsere Fähigkeit stärken, abstrakt zu denken", erläutert der F&E-Architekt der Firma CEBRA Architecture, Klaudio Muca.

Klaudio Muca lehnt das Streben nach Ästhetik in der Architektur nicht ab, sondern wünscht sich eine Auseinandersetzung mit der subjektiven und intuitiven Herangehensweise an das Thema, wie sie seine Dozenten in Mailand vertraten.

„Wenn wir dies nachweisen und konkreter beschreiben können, was genau in einem Gebäude funktioniert, werden Architekten und die Architektur im Allgemeinen hiervon profitieren. So können wir die Instrumente der Architektur zielgerichtet und bewusst einsetzen", sagt er und fügt hinzu, dass es bei der neuralen Architektur darum geht, wie uns die nicht greifbaren Elemente eines Bürogebäudes, beispielsweise Licht, Schall, Luft und soziale Interaktionen, im Arbeitsalltag beeinflussen.

Der Ansatz, Erkenntnisse aus der Gehirnforschung zu nutzen, um bessere Gebäude zu entwerfen, hat den Namen Neuroarchitektur erhalten, und das ist einer der Bereiche, der Klaudio Muca und die Kollegen von CEBRA Architecture interessiert – nicht zuletzt, wenn es um Lernumgebungen wie Schulen und Bürogebäude geht.

Firmensitz von Danish Crown in Randers, Dänemark. Foto: Adam Mørk

Wohlfühlen pro Quadratmeter

Klaudio Muca betont, dass es im Gegensatz zum Schulbau nur wenig Forschungsarbeiten dazu gibt, wie sich die Gestaltung von Bürogebäuden auf die Produktivität und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden auswirkt. Muca und CEBRA Architecture sprechen sich jedoch für die Einführung einer neuen Kennziffer für Bürogebäude aus:

„Wenn es um Bürogebäude geht, sollten wir über Wohlbefinden pro Quadratmeter anstatt über Kosten pro Quadratmeter sprechen, weil wir wissen, dass 90 Prozent der Kosten eines Bürounternehmens auf die Mitarbeitenden entfallen. Wenn wir uns also auf das Wohlbefinden unserer Mitarbeitenden konzentrieren, kommt das automatisch auch dem Unternehmen zugute. Und deshalb muss die Architektur auf die Mitarbeitenden zugeschnitten werden", sagt Muca.

Aber das ist einfacher gesagt als getan:

 „Wir haben unterschiedliche Persönlichkeiten und reagieren unterschiedlich auf Reize. Manche Menschen sind äußerst lärmempfindlich und lassen sich durch Geräusche leicht aus der Ruhe bringen, während andere Lärm problemlos ausblenden und weiterarbeiten können. Deshalb sage ich immer wieder, dass wir ein Spektrum an Räumen anbieten müssen, in denen verschiedene Arten von Mitarbeitern arbeiten können", erklärt er.

Um ein besseres Gefühl dafür zu bekommen, wie sich die Bürogestaltung auf die Produktivität und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden auswirkt, verwendet CEBRA Architecture Fragebögen. Aber das Architekturbüro hat auch ein digitales Tool entwickelt, mit dem kartiert werden kann, wo die Mitarbeitenden am besten arbeiten, und wo sie umgekehrt am meisten von Lärm gestört werden und wo möglicherweise stärker an der Schaffung einer guten Akustik gearbeitet werden muss. 

Firmensitz von Danish Crown in Randers, Dänemark. Foto: Adam Mørk

Die Herausforderungen moderner Büros

Grundsätzlich haben viele moderne Büros laut Klaudio Muca mit zwei zentralen Herausforderungen zu kämpfen:

 „Die eine Herausforderung besteht darin, dass vielen Büros Platz für fokussiertes Arbeiten fehlt – also Arbeiten, die Konzentration erfordern. Offene Bürobereiche bieten viele Vorteile, und wir plädieren nicht dafür, zu Einzelbüros oder Boxen zurückzukehren, aber viele Mitarbeiter beschweren sich über Lärm in Großraumbüros. Deshalb gehen wir immer zuerst darauf ein, wenn wir Büros entwerfen", erklärt er.

Er fügt hinzu, dass es durchschnittlich 23 Minuten dauert, bis sich eine Person nach einer Unterbrechung wieder konzentriert, und aus demselben Grund legen Klaudio Muca und CEBRA Architecture Wert darauf, die richtige Menge an „Ruhebereichen“ in einem Bürogebäude zu planen.

Die zweite große Herausforderung moderner Bürogebäude besteht laut Klaudio Muca darin, das richtige Gleichgewicht zwischen den Sinnesreizen zu finden, denen die Mitarbeiter ausgesetzt sind.

 „Ich habe viele amerikanische Büroumgebungen untersucht, in denen eine etwas andere Kultur herrscht als hier. Dort ist die Atmosphäre sehr energiegeladen – das Büro brummt mit Baristas und Cafébereichen und kann sich manchmal wie ein Fitnessstudio anfühlen", erzählt er. Hier gilt die Philosophie, dass sich eine energiegeladene und dynamische Umgebung positiv auf die Produktivität der Mitarbeitenden auswirkt, aber das ist nicht unbedingt der Fall:

„Eine gewisse Menge an Sinnesreizen kann nützlich sein, aber es gilt nicht 'je mehr, desto besser'. Es ist wie eine Kurve, bei der die Produktivität nach einem bestimmten Punkt sinkt, wenn es zu viel Unruhe gibt", erklärt er.

Photo: Tommy Kosior, Troldtekt A/S
Das Architekturbüro CEBRA hat seinen Bürositz in Aarhus, Dänemark umgebaut und sich für die Designlösung Troldtekt V-Line entschieden.

Es ist gar nicht so schwer

Wenn Sie ein Unternehmen sind, das einfach nur ein Büro einrichten möchte, ist es vermutlich demotivierend, wenn Sie erfahren, dass Sie die unterschiedlichen Temperamente und die Lärmtoleranz Ihrer Mitarbeitenden berücksichtigen müssen. Doch die Botschaft von Klaudio Muca ist klar:

 „Eigentlich ist das gar nicht so schwer. Man muss nur darauf achten, das richtige Gleichgewicht zwischen Bereichen zu finden, die für konzentriertes Arbeiten eingerichtet sind, und Bereichen, die dynamischer sein können", erklärt er. Hier erwähnt er die Forschung, aus der hervorgeht, wie die Gehirnforschung gezeigt hat, dass sich die Deckenhöhe auf unsere Kreativität auswirken kann – vereinfacht ausgedrückt fördern hohe Decken die Kreativität, während niedrigere Deckenhöhen praktisches Denken und Bodenständigkeit begünstigen. Genauso ist es mit dem Licht:

 „Untersuchungen zur Lichtqualität zeigen, dass es nicht immer darum geht, möglichst viel Licht in Bürogebäude zu bringen. Deutsche Studien haben gezeigt, dass ein etwas dunklerer und kleinerer Raum die Kreativität fördern kann, weil sich die Mitarbeiter weniger überwacht und ausgestellt fühlen", erklärt Klaudio Muca.

Er betont auch, dass bei der Bürogestaltung das sogenannte „aktive Lernen“ berücksichtigt werden muss, bei dem es sowohl darum geht, Räume zu schaffen, in denen sich die Mitarbeiter an ihren eigenen Schreibtischen vertiefen können, als auch um die Schaffung sozialer Räume wie z. B. Besprechungsräume:

„Wir streben danach, Besprechungsräume so einzurichten, dass die Menschen einander in die Augen sehen können – zum Beispiel, indem wir einen runden Besprechungstisch anstelle eines länglichen haben, damit wir eine Hierarchie mit der Platzierung am Tisch vermeiden“, sagt er.

CEBRA Architecture setzt sich auch dafür ein, dass die Natur in Bürogebäuden eine Rolle spielt. Unter anderem durch das sogenannte Biophile Design – ein Ansatz, der die Bewohner des Gebäudes enger mit der Natur zu verbinden versucht, indem natürliche Elemente und Prozesse in die Gebäudeumgebung einbezogen werden. Dazu können die Verwendung natürlicher Materialien wie Holz und Stein sowie die Integration von Pflanzen, Wasserfunktionen und die Maximierung des natürlichen Lichts gehören. Ziel ist es, das Wohlbefinden und die Produktivität zu verbessern, indem eine visuell stimulierende und erholsame Umgebung geschaffen wird.

Aber auch, indem wir das frühere Leben der Menschen in der Natur nachahmen:

 „Bei der Integration der Natur in Bürogebäude geht es nicht nur darum, Pflanzen und einen Ausblick ins Grüne zu haben. Es gilt auch, unsere Vergangenheit als Jäger und Sammler in der Natur zu berücksichtigen. In Bürogebäuden müssen sowohl Räume geschaffen werden, die ein Gefühl der Sicherheit und des Schutzes vermitteln, als auch die Aussicht nach draußen ermöglichen. Deshalb arbeiten wir daran, dass der Rücken der Mitarbeitenden geschützt ist und sie gleichzeitig nach vorne blicken können. Das gibt ein Gefühl der Sicherheit", erklärt er. Die Theorie heißt „Prospect and refuge“ und stammt aus der Landschaftsarchitektur. 

Schließlich weist Klaudio Muca darauf hin, dass Bürodesign die Bewegung der Mitarbeiter fördern soll. Nicht nur, weil Bewegung nachweislich kognitive Prozesse unterstützt und Krankheiten im Zusammenhang mit übermäßiger sitzender Arbeit vorbeugt, sondern auch aus einem anderen und wichtigeren Grund für Unternehmen:

 „Der Soziologe Mark Granovetter hat auf die Bedeutung der sogenannten „schwachen Verbindungen“ an unserem Arbeitsplatz hingewiesen. Also die Kollegen, mit denen wir im Alltag nicht so viel Zeit verbringen. Laut der Forschung können diese Kollegen jedoch einen großen Einfluss auf unsere Fähigkeit haben, kreativ zu denken und neue Ideen zu entwickeln, und deshalb müssen wir Büros entwerfen, die es einfacher machen, sich im gesamten Unternehmensbereich zu treffen", sagt Klaudio Muca. Hier hebt er Treppen hervor, die so gestaltet werden können, dass Menschen anhalten und miteinander sprechen können, wenn sie aufeinander stoßen.

FAKTEN: Was ist WISE?

  • WISE ist ein ehrgeiziges Forschungs- und Entwicklungsprogramm, das 2019 von CEBRA ins Leben gerufen wurde
  • WISE steht für Work, Innovation, Space, Education
  • Ziel ist es, die Rolle der Architektur im lebenslangen Lernen zu erforschen und schnelle Veränderungen im Arbeits- und Bildungssektor zu überbrücken
  • Das Projekt soll zur Entwicklung von Gebäuden führen, die Lernen und Innovation fördern, indem Architektur mit Vordenkern in Bildung und Unternehmertum sowie Forschungsarbeiten in den Bereichen sensorische Reize, kognitive Psychologie und Verhaltensweisen verknüpft wird
  • CEBRA Architecture hat die Erkenntnisse im WISE Journal veröffentlicht.