Kopenhagen wird Schaufenster für Nachhaltigkeit im Bauwesen
Die Augen der weltweiten Architekturszene richten sich dieses Jahr auf Kopenhagen als Welthauptstadt der Architektur – ein guter Anlass, um den Grad der Nachhaltigkeit in den Gebäuden der Stadt zu messen. Der Vorstand des Dänischen Rats für Nachhaltiges Bauen macht eine Bestandsaufnahme.
Die dänische Hauptstadt macht derzeit große Schritte in die richtige Richtung, wenn es um Nachhaltigkeit im Bauwesen geht. Das erklärt Sisse Norman Canguilhem, Vorstand des Dänischen Rats für Nachhaltiges Bauen.
Der Rat, der auf Dänisch Rådet for Bæredygtigt Byggeri heißt und früher den englischen Namen Green Building Council Denmark trug, ist ein gemeinnütziger Verein, dessen Ziel die Förderung der Nachhaltigkeit in der Bau- und Immobilienbranche ist. Außerdem ist der Rat für Nachhaltiges Bauen das Verwaltungsorgan für die dänische Version der DGNB-Zertifizierung.
„Nachhaltige Entwicklung steht ganz oben auf der Tagesordnung – von der Baustelle bis in die Vorstandsetage. Zwar verfolgen die meisten Unternehmen heute große Ambitionen und Initiativen, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass es noch ein sehr langer Weg ist, bis das Bauen auch nur annähernd wirklich nachhaltig wird. In den kommenden Jahren wünschen wir uns eine deutliche Beschleunigung der Entwicklung und dass sich die vielen Ambitionen in echte Reduktionen verwandeln.“
Das Potenzial, diese Reduktion anzustoßen, sei da – auch in dem Sinne, dass sich daraus ein Geschäft machen lässt, meint Sisse Norman Canguilhem. Kopenhagen spielt dabei eine wesentliche Rolle:
„Ich möchte, dass Kopenhagen eine Art Petrischale für Entwicklungsinitiativen in Richtung Nachhaltigkeit und damit auch ein Schaufenster für unsere talentierten Unternehmen in Dänemark wird. Wenn wir die nachhaltige Entwicklung der Branche intensivieren, blicken wir auf ein riesiges Exportpotenzial.“
Turbinehuset
Im Zentrum von Kopenhagen befindet sich das Bürogebäude Turbinehuset mit Restaurant und Supermarkt im Erdgeschoss. Das Haus wurde von Danielsen Architecture in Zusammenarbeit mit Tetris als durchdachtes, nachhaltiges Bürogebäude entworfen, das durch eine moderne und flexible Gestaltung überzeugt. Das Gebäude ist nach DGNB Gold zertifiziert.
Schwierige Balance beim Bauen in Kopenhagen
Für Kopenhagen weist Sisse Norman Canguilhem auf mehrere Herausforderungen hin – insbesondere auf die schwierige Balance zwischen der Deckung des Wohnungsbedarfs und der Bewältigung der Klimakrise:
„Auf der einen Seite befinden wir uns mitten in einer Klimakrise, und wir sollten im Grunde aufhören, neue Gebäude zu bauen. Auf der anderen Seite müssen wir anerkennen, dass die Gesellschaft eine Reihe anderer Interessen hat: Neue Wohnungen gehören dazu. Ein weiteres Beispiel sind Gebäude, die am falschen Ort stehen. Hinzu kommen die Gebäude, die nicht für moderne Nutzungen gebaut wurden oder einfach in einem wirklich schlechten Zustand sind“, so Norman Canguilhem.
„Für eine Stadt wie Kopenhagen, in der die Entwicklung schnell voranschreitet, ist es schwer, einfach anzuhalten und etwas anderes als das Naheliegende zu tun. Die meisten neuen Gebäude, die hier entstehen, werden irgendwie den Interessen aller gerecht – außer denen des Klimas und der Umwelt. Doch daran führt kein Weg vorbei. Wir müssen viel aufmerksamer und sparsamer sein, wenn wir neu bauen.
Die anerkannten Gebäudezertifizierungen wie DGNB sind ein Instrument, um Interessen auszugleichen und einen ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz zu gewährleisten, von dem auch die Nutzer der Gebäude profitieren.
Nicht nur private Akteure entscheiden sich für dokumentiert nachhaltiges Bauen. Im Jahr 2020 beschloss die Stadtverordnetenversammlung von Kopenhagen, dass öffentliche Gebäude mit einem Auftragsvolumen von mehr als 20 Millionen Kronen [ca. 2,7 Mio. Euro; Red.] künftig mindestens mit DGNB-Silber oder mit dem Nordischen Umweltzeichen zertifiziert werden müssen.“
KAB Huset
Das KAB Huset ist Hauptsitz der Wohnungsbaugesellschaft KAB, Vereinshaus und Bürgertreff. Der Entwurf stammt von Henning Larsen Architects. Zum Innenausbau gehören Troldtekt-Akustikdecken in Natur Hell, die in den Konferenzräumen und im Callcenter mit verdeckter Lüftung ausgestattet sind, die für eine gleichmäßige Frischluftzufuhr ohne Zugluft und Lärm sorgt.
Nachhaltige Prototypen
Während Kopenhagen 2023 Architekturhauptstadt ist, hat die Stadt gemeinsam mit Partnern sieben Pavillons entlang der Hafenpromenade errichtet, die die UN-Nachhaltigkeitsziele verkörpern. Einige sind eher künstlerischer Natur, andere experimentieren mit den Materialien – allen gemeinsam ist jedoch, dass sie unterschiedliche Lösungen finden, wie wir in Zukunft nachhaltige Häuser mit einem geringen CO2-Fußabdruck bauen und gleichzeitig die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen in den Mittelpunkt stellen können.
Die Pavillons dienen als Vorzeigeprojekte für die Architekturhauptstadt 2023 und den UIA-Weltkongress in Kopenhagen, an dem vom 2. bis 6. Juli 2023 rund 10.000 Vertreterinnen und Vertreter der Branche teilnehmen und in das Thema nachhaltiges Bauen eintauchen werden.
Dänischer Rat für Nachhaltiges Bauen: 3 Megatrends im nachhaltigen Bauen
Sisse Norman Canguilhem, Vorstand des Dänischen Rats für Nachhaltiges Bauen, nennt die drei größten Themen, die das nachhaltige Bauen derzeit beeinflussen:
Neue EU-Rechtsvorschriften
„Unter dem Dach des European Green Deal rollt die EU-Kommission derzeit eine Vielzahl wichtiger Verordnungen und Richtlinien aus. Aktuell sind viele Unternehmen dabei, sich mit der Taxonomie und der CSRD zu befassen, durch die privates Kapital in nachhaltigere Investitionen umgeleitet werden soll. Das wird eine große Rolle spielen.“
ESG- und Nachhaltigkeitsberichterstattung
„Es gibt bald kaum noch ein großes Unternehmen in der Bau- und Immobilienbranche, das nicht einen oder mehrere ESG-Manager eingestellt hat. Wenn die Unternehmen dann beginnen, valide Daten über ihre Nachhaltigkeitsinitiativen vorzulegen, erwarte ich, dass dies einen großen Einfluss auf die internen Entscheidungsprozesse haben wird. Gleichzeitig schafft das auch Transparenz über ganze Branchen hinweg.
Klimarechtliche Anforderungen in den Bauvorschriften
„Die Vorschrift zur Ökobilanzierung und die festgeschriebenen Grenzwerte für große Gebäude sind in vielerlei Hinsicht ein Meilenstein – auch wenn die Grenzwerte meiner Meinung nach zu hoch angesetzt sind. Allein die Tatsache, dass nun alle gezwungen sind, den CO2-Ausstoß von Gebäuden zu messen, wird ein deutliches Bewusstsein bei allen Akteuren entlang der Wertschöpfungskette schaffen.“
Schule am Duevej, Frederiksberg
Die Schule mit der Adresse Duevej in Frederiksberg kann sich damit brüsten, der erste Schulbau in Dänemark zu sein, der die Nachhaltigkeitszertifizierung DGNB Gold mit dem Zusatz DGNB Diamant für besondere architektonische Qualität erhalten hat. Hierbei fiel besonders das Zusammenspiel von Umgebung und gesundem Innenraumklima stark ins Gewicht, wie einer der Architekten des Projekts erzählt.